Wer am Rad dreht, sucht Rat. Wer Rat sucht, sucht Ratgeber. Und daran mangelt es nicht: Profis und Amateure, Spezialisten und Scharlatane bieten an, alle Probleme zu lösen und Lösungen für alles auf zu zeigen.
Zu jeder Frage findest Du zahllose Webpages und YouTube-Videos, Ratgeberliteratur ist ein eigenes Genre. Ein Blick in den Rauch der modernen Pythia namens Google liefert Dir eine unendliche Menge an Antworten.
Aber welche ist die Richtige? Da haben das Orakel von Delphi und Google auch was gemeinsam: Du musst selbst darauf kommen!
„Ich weiß nicht mehr weiter“
Jeder kennt das Gefühl. Jeder hat schon eine Situation erlebt, in der er keinen Ausweg sah. Was tun, sprach Zeus?
Vielleicht um göttlichen Beistand bitten? Vielleicht Zeus selbst? Na ja, gerade ihm, dem Göttervater und hochdonnernden Wolkensammler, waren die Bedürfnisse der Menschen relativ wurst. Es sei denn, er konnte mit ihnen Halbgötter produzieren. Oder sonst wie seinen Spaß haben.
Sein Sohn Apollon sah das anders. Er öffnete einen Kommunikationskanal für die Menschen in Form von Weissagungen durch spezielle Götternachrichtenempfangsstationen, auch Orakel genannt. Die meisten Follower hatte die Pythia, eine Influencerin aus Delphi.
Wer nicht mehr weiter wusste, fragte die Götter um Rat und ging nach Delphi. Und was stand über dem Eingangstor zum Tempelbereich in Delphi? „Hier werden Sie geholfen“? „Orakel-Spektakel“? „Wir sagen Dir alles, was Du wissen willst“? Ganz im Gegenteil:
Erkenne dich selbst – Gnothi seauton!
Special Agent Mulder hat in seinem FBI-Büro das Plakat hängen „The truth is out there“. Vielleicht ist das der Grund, weshalb er durch zahlreiche Staffeln und mehrere Kinofilme einer Wahrheit nachjagt, die es nicht zu geben scheint. Vielleicht hätte sich das alles erledigt, wenn er sich einmal vor den Spiegel stellen würde, sich selbst betrachtend, mit den Worten auf den Lippen „The truth is in there“!
Das lässt sich auf alle aussichtslosen Lagen übertragen – und ganz besonders auf das Lernen! Das geht bereits bei der Einsicht los, dass überhaupt Probleme vorhanden sind. Dass ich selbst Einfluss nehmen kann auf die Ergebnisse und nicht hilflos dem Ränkespiel finsterer Mächte ausgeliefert bin („Der Prof kann mich nicht leiden“, „Der Lehrer ist unfair“, „Die Klausur war zu schwer“). Und besser noch, Schwierigkeiten zu erkennen, bevor sie zu einem echten Problem geworden sind. Zu merken, dass der Kurs des Schiffes abweicht und möglicherweise auf ein Riff zu führt, bevor es knirscht und knackt.
Probleme erkennen, bevor sie eins werden
Das kann der Kapitän aber nur, wenn er auch weiß, wo er hinwill, wenn er weiß, wo er sich in diesem Augenblick befinden müsste, und wo er tatsächlich ist. Denn die Voraussetzung dafür, sich selbst zu erkennen, ist in erster Linie, sich selbst einmal zu betrachten. Und zwar nicht wie Narziss, von der Liebe zum eigenen Spiegelbild überwältigt, sondern als möglichst neutraler Betrachter dessen, was ich da eigentlich gerade so mache.
Etwas wissenschaftlicher ausgedrückt bedeutet das, dass Du Deine kognitive Prozesse von außen betrachtest. Quasi daneben stehst. Auf griechisch „meta“. Diesbezügliche Fertigkeiten sind demnach „metakognitive Lernstrategien“.
„Mal klappt es, mal nicht, keine Ahnung warum“
Oder auch „Ich muss mich verbessern, aber weiß nicht wie“ – Das sind die typischen Empfindungen desjenigen, der sich sein Lernen noch nie oder nicht ausreichend bewusst gemacht hat. Das kann lange Zeit prima funktionieren. Nur, solange Du nicht weißt, warum es funktioniert, wenn es funktioniert, weißt Du auch nicht, woran es liegt, wenn es nicht mehr funktioniert. Das ist ein Damoklesschwert, das jederzeit herniedersausen kann. Mit Vorliebe bei wichtigen Abschlussprüfungen. Und alleine die Angst davor kann sich zu einer veritablen Blockade auswachsen.
Sieh hin! Betrachte Dein Lernen! Und erkenne Dich selbst!
Das fängt mit ganz banalen Dingen an. Zum Beispiel, dass Du am Ende eines Lerntags die Unterlagen nicht einfach hinter Dich wirfst, sondern kurz überlegst: Was habe ich heute gemacht, wie habe ich es gemacht und wie hat das funktioniert. Vielleicht notierst Du das sogar. Konsequent durchgeführt hast Du bereits nach wenigen Wochen ein sehr detailliertes Bild Deines Lernens. Ein regelrechtes Lernlogbuch.
Selbstwissen nutzen: Nur der Versuch macht kluch
Auf dieser Basis kannst Du Dein Lernen variieren und herausfinden, was für Dich am besten funktioniert, und womit Du es Dir selbst schwierig machst. Uhrzeit, Thema, Lernmethode, vorherige Aktivitäten, alles kann eine Rolle spielen.
Befund A: Ein Thema ist recht komplex; wenn ich mich morgens als Erstes damit beschäftige, brauche ich Ewigkeiten, um reinzukommen. Und am Nachmittag habe ich einfach keinen Bock mehr darauf. Konsequenz: Ich erledige erst kleine, leichtere Aufgaben zum Warmwerden, dann kommt das komplexe Thema dran.
Befund B: Ich mache mittags eine kleine Pause, esse nur schnell etwas, damit ich am Nachmittag frühzeitig aufhören und Sport machen kann. Aber die erste Stunde meiner Lernzeit nach der Pause ist komplett für die Tonne. Konsequenz: Ich probiere den Sport mal in der Mittagspause und setze das Lernen später körperlich aktiviert und psychisch erholt fort. Gleicher Zeitaufwand, aber viel mehr Lerneffekt.
In dem Moment, wo Du weißt, was Du machst, weißt Du auch, wie Du es besser machen kannst. Erkenne Dich selbst – dann siehst Du, was Du willst, und wie Du genau das auch erreichen kannst!