„Ich lese den Text immer wieder, habe auch ganz viel farbig markiert, da nehme ich mir richtig Zeit für. Aber es bleibt einfach nicht genug hängen. Was mache ich falsch?“ Kommt Dir das bekannt vor?
In einem Ranking der häufigsten Beschreibungen von Lernproblemen dürfte diese Aussage ganz weit oben zu finden sein. Wenn aber so viele „was falsch“ machen, spricht das dafür, dass der Fehler im System liegt. Im Markier- und Aufschreibe-System. Oft sitzt nämlich bei Tätigkeiten, die ganz einfach aussehen, die wir schon 1000-mal gemacht haben, der Teufel im Detail. Was soll ich überhaupt markieren und rausschreiben? Wie mache ich das am besten? Und was davon muss ich jetzt lernen, um das Thema zu verstehen? Je länger Du drüber nachdenkst, desto mehr Fragen stellen sich: aber es gibt auch Antworten!
Früher war alles besser!
Denk alleine mal an den Schreiber eines mittelalterlichen Klosters. Der hatte es gut! Er bekam vorgelesen und musste genau das aufschreiben. Keine unnötigen Gedanken darüber verschwenden, was im Text wichtig ist, was nicht, einfach Wort für Wort notieren. Und wenn er zwischendurch einnickte und eine Zeile oder zwei fehlten – hat ja eh keiner gemerkt. Außer den Mönchen selbst konnte eh keiner lesen. Außerdem: Irgendwas müssen die Philologen der Zukunft ja auch zu tun bekommen!
Einfach nur aufschreiben, ohne Rücksicht auf den Inhalt – das ist beim Lernen absolut undenkbar! Wirklich? Scheint es nicht eher so, dass viele Lerner genauso mit Texten umgehen? Erst einmal werden die Textmarker gezückt, am besten noch in verschiedenen Farben. Alles, was wichtig ist, oder wichtig erscheint, oder eventuell vielleicht wichtig sein könnte, erstrahlt in Neongelb, -grün, -pink.
Das sieht hinterher richtig schick aus, und jeder sieht auch sofort, dass hier schwer gearbeitet wurde. Alternativ – oder zusätzlich – rausschreiben. Frei nach dem Motto „If in doubt, write it down“ entstehen Zusammenfassungen, die manchmal länger sind als der Ausgangstext. Und dann muss das Ganze noch in den Kopf. Aber anders geht es ja nicht, oder? Doch:
Das geht auch anders!
Und wie! Sinn und Zweck einer Zusammenfassung ist es, die Informationen auf das Wesentliche zu reduzieren und damit den Lernaufwand quantitativ zu reduzieren. Ausufernde Mitschriften sind demnach eine Folge von Unsicherheit: Habe ich wirklich erfasst, was wesentlich ist? Hm, zur Sicherheit schreibe ich dieses und jenes auch noch auf. Man weiß ja nie!
Doch! Dafür bist Du ein denkender Mensch! Was war noch einmal Dein Ziel? Willst Du eine möglichst wortgetreue Wiedergabe Deines Textes erstellen, oder willst Du den Inhalt verstehen und im Kopf haben? Traust Du Dir das nicht zu?
„If in doubt, write it down“ – das heißt im Umkehrschluss: „To write less down, minimize the doubt.“ Mach doch mal was total Verrücktes und schreibe erst mal GAR NICHTS auf! Ja, das geht! Machst Du Dir Notizen bei der Lektüre eines Romans, einer Geschichte, eines Comics? Natürlich nicht. Und trotzdem hast Du die Handlung im Kopf. Sonst würdest Du jedes Mal bei Seite Eins wieder anfangen müssen.
Und genau darum geht es auch in Fachtexten: Den Inhalt BEGREIFEN, die Kernaussagen, das argumentative Gerüst erkennen und verinnerlichen. Hast Du das im Kopf, kannst Du auch weitere Details daran anknüpfen – Dein Großhirn weiß sofort, wo die angelieferte Information hingehört, das Fach im Regal ist bereits vorbereitet, die Lerneinheit muss nur noch eingestellt werden.
Erster Schritt: Schreibverbot! Zweiter Schritt: Wiedergabe aus Gedächtnis!
Hast Du den Text beziehungsweise Textabschnitt am Stück gelesen, gibst Du den Inhalt in eigenen Worten wieder. Das kann stichwortartig auf Papier oder in einer Textdatei erfolgen. Aber auch die mündliche Wiedergabe und das Speichern mit Diktierfunktion wäre eine Idee. Der Strukturierungsfreak erstellt vielleicht sofort eine Mindmap.
Wenn das nicht klappen will, hast Du offensichtlich irgendeinen Aspekt nicht richtig verstanden. Aber bevor du jetzt das Google-Orakel befragst oder Mitlerner behelligst: Frag Dich erst einmal selbst! Formuliere präzise Fragen! Oft liefert das Grübeln darüber, wo genau die Verständnisschwierigkeiten liegen, bereits die Antwort! Und je genauer Du weißt, was Du nicht verstehst, desto einfacher ist die Lösung!
Im Gegensatz zum „klassischen“ Modell „Markieren – rausschreiben – auswendig lernen“ sparst Du Zeit und Mühe und erntest obendrein noch motivierende Erfolgserlebnisse. Natürlich gibt es auch hier Fallstricke und Hinterhalte. Der gefährlichste ist sicherlich wieder einmal die „Perfektionismus-Falle“, wenn die Zweifel wiederkommen. Das Erstellen eines Verstehens-Rasters ist ja gut und schön, es nützt aber nichts, wenn Du Deine Zusammenfassung anschließend wieder aufblähst mir zahllosen Details, die ja allesamt vielleicht irgendwie dann doch ganz wichtig sind.
Dritter Schritt: Lerne Selbst-Bewusst!
Zweifel werden durch Gewissheit vertrieben. Und die Gewissheit, ob Du alles notiert hast, was Du brauchst, kannst Du Dir selbst verschaffen: Lerne Selbst-Bewusst! Das wichtigste Kriterium ist nämlich die ganz simple Beobachtung: „Ergibt das, was ich aufgeschrieben habe, Sinn? Ist das stimmig, logisch?“
Die Perfektionismus-Falle kannst Du auch vermeiden. Verdeutliche Dir die drei Hierarchie-Ebenen des Lernens für Prüfungen und frage Dich erstens: Was ist relevant fürs Bestehen? (= höchste Priorität – unverzichtbar). Zweitens: Was ist wichtig für eine gute Note (= solltest Du Dich nach Möglichkeit mit beschäftigen). Drittens: Was ist hilfreich für ein gutes Gefühl? (= wenn alles andere erledigt ist und dann noch Zeit und Kraft und Motivation übrig sind, dann. Sonst nicht!)
Zum bewussten Lernen gehört selbstverständlich auch, dass Du Dir vorher überlegst, was Du wie bearbeiten willst. Vielleicht probierst Du auch verschiedene Methoden aus und vergleichst hinterher, was am besten funktioniert hat? Und wenn etwas nicht so geklappt hat, wie erhofft, dann analysiere, woran es gelegen hat und probiere eine andere Methode. Es gibt unglaublich viele. So findest Du die für Dich maßgeschneiderte Lernstrategie.
Aber ganz wichtig ist: Achte auf das, was geklappt hat, was Dir gut gelungen ist! Koste das Erfolgserlebnis aus, zeichne Smilie, grünes Häkchen oder Daumen hoch in Deinen Plan! Jeder hat beim Lernen Erfolgserlebnisse, Du musst sie nur auch sehen wollen!