Hilf dir selbst – wer hilft dir dann?

Do-it-yourself ist in! Und nicht nur beim Anstreichen und Möbel zusammen bauen: Spätestens seit dem Corona-Einschnitt ist die Fähigkeit zum eigenverantwortlichen Lernen wichtiger denn je. Aber was verführerisch nach süßer Freiheit klingt, ist gar nicht so einfach. Abgesehen vom Lernstoff muss man nun auch noch mit äußeren Umständen und inneren Schweinehunden kämpfen. Wie du dich effizient selbst unterrichtest und worauf du achten musst, damit das Home Learning nicht zum Horror wird, findest du hier.

Es lebe die Freiheit! Niemand, der mir vorschreibt, was ich wann zu tun habe!

Heute werde ich Fachliteratur lesen, dann gehe ich noch mal die Skripte vom letzten Webinar durch, und anschließend mache ich mich an die Gliederung meiner Hausarbeit. Was, erst 8:30? Da kann ich ja erst mal einen Kaffee kochen und mal schauen, was der Freundeskreis so auf Instagram macht. Und ohne Frühstück klappt das eh nicht. So, wo ist jetzt das Buch? Mist, das habe ich einem Kumpel geliehen. Aber das wichtigste gibt’s online. Hm, Google-News. Mann, was geht da ab in der Welt. Ob es sich überhaupt noch lohnt, was zu lernen?

via GIPHY

Kühl ist es, ich mache mir einen Tee. Was hab‘ ich noch mal gesucht gerade? Egal, dann war es nicht so wichtig. Ah, die Post. Immer muss ich die Pakete für die Nachbarschaft annehmen. Nervig. Was will die Katze denn jetzt schon wieder, ich habe den Napf doch eben vollgemacht? Hey, die sind ja total nett, die neuen Nachbarn, die gerade ihr Paket abgeholt haben. Haben mich für heute Abend zu einem Kennenlernbier eingeladen. Ach, vor dem Mittag jetzt noch anzufangen ist auch Quatsch, lieber ausgeruht danach.

Puh, die restliche Pizza von gestern war doch zu viel, erst mal ausruhen. Ja, klar machen wir was am Wochenende, schreibt doch Ideen in die WhatsApp-Gruppe? Ok, dann gleich zur Gliederung der Hausarbeit, PC ist ja noch an. Hm, Google-News. Immer noch alle verrückt. Ja, hast du total recht, ich bin schon den ganzen Tag am Lernen, und morgen ist auch noch einer, ich komme auf einen Kaffee vorbei, bis gleich.

Schon mal erlebt?

Du willst bestens motiviert loslegen, bist auch die ganze Zeit irgendwie beschäftigt und stellst abends fest, dass du keinen Schritt weitergekommen bist. Du fühlst dich schlecht und schuldig und haderst mit dir, der Welt und dem garstigen inneren Schweinehund. Das muss nicht sein!

Nein – ich komme jetzt nicht mit dem moralischen Zeigefinger um die Ecke und singe das hohe Lied auf die Selbstdisziplin. Aber eigene Freiheit heißt immer auch eigene Verantwortung. „Eigenverantwortliches Lernen“ bedeutet, da ist niemand, der mir sagt, was ich zu tun habe. Aber auch nicht, wie ich es am besten tue. Der mich vor falschen Entscheidungen warnt, der mich ermahnt, wenn ich abschweife, und mich lobt, wenn ich etwas richtig gemacht habe.

Im Unterricht war die Reaktion der meisten Schüler, wenn es um eigenverantwortliches Arbeiten ging, immer gleich: Erst herrschte große Freude („Cool, ohne Lehrer!“), dann folgte bald die Ernüchterung („Wie geht das denn jetzt?“), und schließlich das Paradoxon: „Können Sie uns zeigen, wie man selbstständig lernt?“ Pfeif auf Freiheit, lieber zurück in den warmen Stall. 

via GIPHY

Irgendwann heißt es aber „Hinaus in die freie Wildbahn!“ Im Chor blöken und sich brav melken lassen reicht dann nicht mehr, das Futter muss plötzlich selbst gesucht werden und für den Stall wird Miete fällig. 

Wer nach der Schulzeit nicht eigenverantwortlich sein kann, verirrt sich, verhungert oder wird aufgefressen.

Das Studium ist im Prinzip eine einzige große Freiarbeitsphase, durch gelegentliche Veranstaltungen unterbrochen, und mit wechselnden Arbeitsaufträgen, auch wenn seit der Bologna-Reform vom Humboldtschen Ideal der freien Lehre nur noch Fragmente übrig sind. Was am Ende kontrolliert wird, ist das Ergebnis, den Weg musst du dir selbst suchen – was letztlich auf alle Lernsituationen jenseits der Kindheit zutrifft, egal ob Abitur, Ausbildung, Lehre oder berufliche Fortbildungen.

Natürlich gibt es keine Patentlösungen. Aber der Umstand, DASS du dir Gedanken machst, wie du am besten lernst, ist bereits ein ganz wichtiger Schritt, vielleicht sogar der wichtigste. Denn auch wenn es keine Patentlösung gibt, so gibt es doch zwei Fundamente für das eigenverantwortliche Lernen, ohne die es nicht gelingen wird: 1. Bewusstes Lernen, und 2. Das Spannungsfeld Motivation/Konzentration.

Bewusstes Lernen heißt, sich klar zu machen, dass ICH SELBST meinen Lernerfolg in der Hand habe

– abgesehen vielleicht von Meteoriteneinschlägen im Arbeitszimmer, Zombieapokalypse oder dem Auffinden eines Wünsche erfüllenden Wichtels unter dem Bett. Das Einzige, was ich dafür brauche, ist die Auseinandersetzung mit mir selbst: Was kann ich gut, wo kann ich mich verbessern? Wie lerne ich am besten, wo, wann? Wodurch lasse ich mich ablenken? Wie schaffe ich es, mich wieder zu konzentrieren? Welche Lernerfahrungen habe ich schon gemacht, welche Fehler mache ich jetzt nicht mehr, und was hat so super geklappt, dass ich es noch mal mache? Wo hole ich mir Unterstützung, mit wem kann ich mich austauschen?

Wenn darüber Klarheit herrscht, ist die Basis gelegt. Auf dieser Basis lässt sich zum Beispiel ein Lernplan erstellen, der sich an folgenden Leitfragen orientieren kann: Bis wann muss ich was gelernt oder erledigt haben? Wie viel Zeit steht mir zur Verfügung? Wie viele Stunden habe ich konkret in der Woche zum Lernen, abzüglich Termine, Job, Haushalt, Erholungsphasen, soziale Kontakte? Was kann ich überhaupt in welchem Zeitraum realistisch schaffen?

Konzentration bedeutet, alles andere für einen bestimmten Zeitraum ausblenden zu können.

Manche können das quasi auf Knopfdruck, manche brauchen dafür Übung. Die gute Nachricht: Jeder kann es lernen. Je schwieriger es einem fällt, sich zu konzentrieren, desto wichtiger ist es, mögliche Störfaktoren zu minimieren. Habe ich eine Lernumgebung, die mir hilft, mich zu konzentrieren? Ist es ruhig, hell, ungestört? Gibt es interne Störfaktoren, belastet mich etwas, gehen meine Gedanken ständig auf Wanderschaft?

Hat mein Körper alles, was er braucht, Essen, Trinken, angemessene Pausen, Bewegung, Sauerstoff? Mit welchen Ablenkungen von außen muss ich rechnen und wie kann ich ihnen begegnen? Weiß mein soziales Umfeld, dass ich im Moment nicht erreichbar bin? Ist das Handy stumm geschaltet? Das geht nicht unbegrenzt, umso wichtiger ist es, sich zeitlich abgegrenzte Lernslots zu schaffen, in denen das Ausblenden externer Störfaktoren überhaupt realistisch ist (Hier hilft der eben angesprochene Lernplan).

via GIPHY

Und schließlich: Was ist meine Motivation? Welchen Sinn hat mein Lernen, was will ich damit erreichen? Ein Ruderer, der kein Ufer sieht, rudert und rudert, aber er hat nie das Gefühl, seinem Ziel näher zu kommen. Er wird irgendwann aufhören zu rudern. Sobald er aber Land sieht und spürt, dass jeder Schlag ihn seinem Ziel näher bringt, entdeckt er plötzlich neue Kraftreserven und legt sich kräftig in die Riemen. Wer sich ein vernünftiges Ziel setzt, hat es schon fast erreicht!

Die Antworten auf all diese Fragen kann nur der beste Experte geben, den es für dich und dein Lernen gibt. Und das ist niemand anderes als DU selbst! Sei so frei;)

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert